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Als wir kurz nach 12 Uhr am Brandenburger Tor ankommen, beginnt gerade die Kundgebung. „Thomas Münzer hätte sich gefreut , so viele Bauern hier zu sehen…“, schallt es von der Bühne. Am Ende werden es 40.000 TeilnehmerInnen, die größte Bauerndemo seit Jahrzehnten. Nach unseren Beobachtungen machen die BerlinerInnen und einige TouristInnen weniger als ein Prozent der TeilnehmerInnen aus. Damit sind bei aktuell noch 200.000 bäuerlichen Betrieben in Deutschland rechnerisch sage und schreibe 20% des Berufsstands am Protest beteiligt.

Das zeigt: Es brennt auf dem Land! Deutschland hat jetzt seine Gelbwesten-Bewegung, nur kommt sie aus einer Richtung, die niemand auf dem Schirm hatte. Ihr Symbol ist – neben den gelben Warnwesten, die heute auffallend viele TeilnehmerInnen trugen – das grüne Kreuz. Es steht für den wirtschaftlichen Ruin, in den die kleineren und mittleren Bauern durch die aktuelle Landwirtschafts- und Umweltpolitik getrieben werden.

Die Bewegung entstand Anfang Oktober als Facebook-Gruppe und breitete sich explosionsartig über das ganze Land als Vernetzung an der Basis aus. Heute sind allein auf Facebook über 30.000 Beteiligte vernetzt. Unter dem Namen „Land schafft Verbindung“ (www.landschafftverbindung.de) organisieren sich die Betroffenen in Regionalgruppen unabhängig von etablierten Verbänden und Parteien.

Das Agrarpaket der Bundesregierung ist der Tropfen gewesen, der das Fass mit offenbar jahrelang aufgestautem Unmut und Wut in den Dörfern zum Überlaufen gebracht hat. Immer neue und teilweise völlig unsinnige Umweltauflagen sind der letzte Sargnagel für die Bauern. Sie mussten, wie uns einer berichtet hat, in den letzten drei Jahrzehnten Kostensteigerungen zwischen 300% bis 400% verkraften, während gleichzeitig die Erlöse für ihre Produkte um 50% gefallen sind. Ein Schäfer, Besitzer eines größeren Betriebs, erzählt, dass die Ankaufpreise für Lammfleisch so stark gefallen sind, das sie unter den Selbstkosten der Aufzucht der Tiere liegen. Der Realstundenlohn eines Schäfers in Deutschland liegt heute bei 2,50 Euro! Kein Wunder, dass immer mehr aufgeben. Schafe dienen aber auch der Landschaftspflege durch extensive, schone Beweidung. Allerdings gibt es heute in Deutschland nur Schafe für die Beweidung von 20% der Naturschutzflächen, die eigentlich dafür angedacht sind.

Das Beispiele ließen sich endlos fortsetzen – die Bauern haben sehr viel zu erzählen über die Widersprüche einer Agrarpolitik, die die Medien totschweigen. Stattdessen läuft das altbekannte Teile-und-herrsche-Spiel. Die Bauern seien angebliche die schlimmsten Umweltsünder, rückständig, doof usw. Das ist natürlich übelster Blödsinn und dient ausschließlich der Stimmungsmache gegen eine kraftvolle spontane Protestbewegung. Die Bauern und Bäuerinnen, mit denen wir heute gesprochen haben, waren jedenfalls sehr kompetent – was man von den geladenen PolitikerInnen nicht unbedingt sagen kann. Die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner brachte es fertig endlos zu palavern, ohne inhaltlich auch nur auf eine einzige Forderung der Bauern einzugehen. Dafür hatte sie bereits im Frühstücksfernsehen klargemacht, dass die Regierung ihr Agrarpaket nicht ändern werde. Pfiffe und Zwischenrufe quittierte sie mit verletzter Eitelkeit. „Ihr fordert einen Dialog, dann müsst ihr auch zuhören“, blaffte sie die TeilnehmerInnen an.

Nebenbei zauberte die Landwirtschaftsministerin, die sich scheinheilig vor die BäuerInnen stellte ohne ihnen irgendetwas anzubieten, einen anderen Schuldigen aus der Tasche: Schuld seien die Verbraucher, die immer nur billige Lebensmittel wollen. Gegen solche durchschaubaren Taschenspielertricks, mit denen die Dörfer gegen die Städte und umgekehrt aufgehetzt werden sollen, haben wir uns mit den Landwirten und ihren berechtigten Forderungen solidarisiert. Unser Flugblatt erhielt sehr viel Zustimmung, auch weil „Land schafft Verbindung“ einen offenen Dialog miteinander vorschlägt statt übereinander zu reden. Ein Anliegen, dass wir unbedingt teilen und zu dem wir einige konkrete Ideen ausgetauscht haben.

Wir wünschen unseren neu gewonnenen Freunden einen guten Heimweg und einen langen Atem bei ihrem berechtigten Protest.

Nachfolgend dokumentieren wir noch den Text unseres Flugblatts:

 

STADT GEGEN LAND? Gemeinsam für eine bessere Politik

Wir sind mit eurem Protest solidarisch und begrüßen eure Demonstration. Auch wir als Solidaritätsnetzwerk organisieren uns unabhängig von Parteien und Verbänden, um unsere Probleme in den Städten, wo wir leben, wie unbezahlbare Mieten, Altersarmut, Niedriglöhne usw. gemeinsam anzugehen.

Wir wissen wenig über die sozialen und politischen Probleme und das Leben auf dem Dorf. Aber wir finden es toll, dass ihr in so kurzer Zeit nur auf eure eigene Kraft vertrauend, schon die zweite große Protestaktion auf die Beine gestellt habt.

Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Stadt gegen Land ist bei der Frage, der Nahrungsmittelproduktion eine falsche Alternative. Genauso wie z.B. das Ausspielen von Jungen gegen Alte bei der Rente. Vermutlich haben wir viel mehr gemeinsam, als wir wissen. Förster erzählen uns, dass sich in Brandenburg die Bodenpreise für Wald- und Wiesengrundstücke in den letzten Jahren mehr als verdoppelt haben. Angesichts der drohenden Wirtschaftskrise ströme immer mehr Kapital in den Immobilienmarkt und das befeuert die Bodenspekulation. Die Folge: unbezahlbare Mieten in den Städten und unbezahlbare Pachtabgaben für Landwirte.

Wir brauchen gesunde und bezahlbare Lebensmittel und das geht nur mit bäuerlichen Betrieben, die von ihrer Arbeit leben können. Wir verstehen euren Frust über teilweise unsinnige Umweltauflagen, die Bauern in den Ruin treiben. Wir kennen Ähnliches aus der Debatte um den Klimaschutz. Natürlich wollen auch wir das Klima retten, aber wir lehnen die CO²-Steuer ab. Wir sind daher für Artenvielfalt und gegen den Ruin der regionalen, bäuerlichen Landwirtschaft.

Lasst uns zusammenkommen, um gemeinsam zu besprechen, wie eine bessere Politik für die Landwirte, in den Dörfern und in den Städten aussehen muss.

Stadt und Land, Hand in Hand, gemeinsam verändern wir das Land!

sharring is carring