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… cool! Jedenfalls wenn sich in Kreuzberg bei knapp unter null Grad 120 Menschen versammeln, um Abends nach acht den Protest gegen Gentrification durch den Kiez zu tragen. Die Stimmung war super, die Musik eine gelungen Mischung aus mehreren Jahrzehnten Demonstrationskultur und mit Redebeiträgen verschiedener Initiativen wurde eine Verbindung zwischen den zahlreichen kleinen Kämpfen gegen Gentrification hergestellt.

Nach einigen kleineren Aktionen in den letzten Wochen (Flashmobs, Unterschriftensammlung usw.) hat die AnwohnerInneninitiative “Kiezmarkthalle für Alle” zusammen mit den Veranstaltern der Kiezinitiative und zahlreichen weiteren Gruppen nunmehr bereits die dritte größere Aktion auf die Beine gestellt. Die Beteiligung lag deutlich über den Erwartungen. Dies zeigt ein weiteres Mal, dass der Versuch der Betreiber der Markthalle IX gescheitert ist, dem Protest durch Pseudodialoge, Imageaktiönchen fürs soziale Gewissen und ein Spielen auf Zeit den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Wie schon bei den Bauernprotesten letzte Woche am Brandenburger Tor bekommt die abgehobene neureiche, grüne Elite nun auch in ihrer Hochburg Friedrichshain-Kreuzberg mit der “Agrarwende” ein echtes Imageproblem. Denn der billige Taschenspielertrick den Verbraucher*Innen die Schuld für eine anti-soziale Ernährungspolitik in die Schuhe zu schieben, weil sie ja nicht bereit wären mehr Geld für vernünftiges Essen auszugeben, ist gescheitert.

Essen ist politisch und bleibt eine soziale Frage! Nicht wir als Konsument*Innen geben zu wenig Geld für Nahrungsmittel aus, sondern die Agrarindustrie, der Großhandel sowie die Banken zocken verschuldete Bauern auf dem Land und überschuldete Verbraucher in den Städten ab.

Heute war die Kreuzberger Mischung auf der Straße, dass heißt konkret, dass neben einigen politischen Aktivist*Innen vor allem Kreuzberger*Innen aus allen Schichten und allen Altersgruppen sich beteiligt haben. Daneben gab es ein zweisprachiges Flugblatt, dass sich direkt an Tourist*Innen und Besucher*Innen des Events “Street Food Thursday” gewandt hat. Das Feedback war ausgesprochen positiv: Zahlreiche Tourist*Innen erklärten sich solidarisch und berichteten teilweise von ähnlichen Problemen und Sozialprotesten in ihrer Heimat.

Wenn wir Arbeiter*Innen, egal ob wir Nachbarn im Kiez sind, wegen einem Job vorübergehend in Berlin arbeitern und leben oder als Besucher*Innen aus aller Welt hier Urlaub machen, uns zusammentun, dann können wir die Gentrifizierer stoppen. Kreuzberg ist mit seiner Geschichte von fünf Jahrzehnten Mieter- und Häuserkämpfe ein angemessener Ort, um damit anzufangen.

Als Solidaritätsnetzwerk Berlin haben wir den Protest unterstützt und die Perspektive verteilt. Ein Freund, der selbst im Kiez lebt, hat den Redebeitrag der Anwohnerinitiative verlesen:

Liebe Nachbarn, liebe Besucher und Besucherinnen aus aller Welt,

ich darf euch im Namen der Initiative „Kiezmarkthalle für Alle!“ ganz herzlich zu unserem heutigen Protest begrüßen. Warum stehen wir heute wieder hier? Anlass unserer Aktivitäten war im Frühjahr die Ankündigung der Betreiber der Markthalle IX, dass mit ALDI das letzte Angebot zur Grundversorgung mit erschwinglichen Preisen verschwinden soll.

Aufgrund der Proteste und der massiven Unterstützung, die es im Kiez für unser Anliegen gibt, ist ALDI bis heute in der Markthalle geblieben. Allerdings nur mit einem Zwischenvertrag, der eine Kündigung zum Ende des nächsten Monats zulässt. Es geht bei der Auseinandersetzung aber nicht um ALDI gegen DM, wie es von Seiten der Betreiber dargestellt wird. Es geht auch nicht um das „alte Kreuzberg“ gegen das moderne, urbane Lebensgefühl mancher „Neu-KreuzbergerInnen“.

Es geht auch bei der Ausgestaltung der Markhalle IX um die Frage der Veränderungsprozesse, die den Bezirk auf die Barrikaden treiben. Diese sogenannte Gentrification, die sich für Viele an explodierenden Mieten festmacht, ist keine Frage von Modern gegen Alt.

Es handelt sich um die soziale Frage von reicher Eliten gegen NormalverdienerInnen und Arme. Letztere stören so manchen Hippster. Sie sollen nach dem Willen der neureichen, grünen Oberschicht im Bündnis mit Immobilienspekulanten aus dem Bezirk verdrängt werden.

Das Konzept der Markthalle IX steht für diesen Klassenkampf von oben. Die Betreiber verkünden ganz offen, ihr Zielpublikum seien Menschen, die nach Abzug aller notwendigen Ausgaben 500 bis 5000 Euro im Monat zur freien Verfügung hätten. Dazu zählen wir offensichtlich nicht!

Wir werden das nicht zulassen! Kreuzberg ist auch eine Hochburg der Miet- und Häuserkämpfe. Die Berliner MieterInnenbewegung hat vorläufig schon mal einen begrenzten Mietendeckel erkämpft. Das zeigt, dass Protest wirksam ist, wenn wir uns zusammenschließen.

Die Betreiber haben eine klare Wahl zu treffen: Entweder sie gehen endlich auf unsere Forderungen ein oder wir werden ihr Unternehmensgeflecht dahin befördern, wo es hingehört, nämlich raus aus Kreuzberg.

Unsere Forderungen lauten:

1.) Der ALDI oder ein Lebensmittelgeschäft mit ähnlichem Sortiment und Preisniveau soll in der Markthalle 9 bleiben, um die tägliche Grundversorgung der Anwohner*Innen mit für alle bezahlbaren Lebensmitteln sicherzustellen!
2.) Die Markthalle 9 soll zu einem echten Markt mit einem täglichen, kleinteiligen Marktangebot entwickelt werden!
3.) Kostenpflichtige und exklusive Events sollen nicht in der Markthalle 9 stattfinden!
4.) Die vielfältige Belastung der Anwohner*Innen durch kommerzielle Events wie den „Street Food Thursday“ ist umgehend zu reduzieren!
5.) Sollten diese Forderungen durch die aktuellen Markthallen-Betreiber nicht umgesetzt werden, fordern wir einen zukünftigen Betrieb der Markthalle 9 durch einen gemeinwohl-orientierten Träger oder in öffentlicher Trägerschaft!

In diesem Sinne wird unser Kampf 2020 weitergeführt werden! Der Versuch, uns totlaufen zu lassen, ist gescheitert. Die Arroganz der Grünen Elite in Kreuzberg mit ihrer Agrarwende, die in Wahrheit doch nur eine Quersubvention in die eigene Tatsache darstellt, wird nicht durchgehen. Das können wir euch versprechen!

 

 

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