Ein Kölner Student gemeinsam mit NachbarInnen im Kampf gegen Mietpreissteigerungen und Verdrängung – eine Reportage über die Möglichkeiten des Widerstands im Stadtteil.
Seit Jahren steigen die Mieten in Deutschland unaufhaltsam an. Allein im laufenden Jahr 2018 sollen sie in den deutschen Großstädten um 10% anwachsen. Überall dort, wo renoviert oder „modernisiert“ wird, noch viel stärker. Gleichzeitig fallen immer mehr Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus aus der Sozialbindung heraus und weniger neue werden gebaut. Laut einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung fehlen allein in deutschen Großstädten fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen.
Steigende Mieten sind demnach ein immer größeres Problem in Deutschland. Das hat auch eine Gruppe von KölnerInnen festgestellt, die sich vor kurzem in einem sogenannten „Solidaritätsnetzwerk“ zusammengeschlossen haben. Mit dabei ist auch Tim Losowski, ein aufgeweckter junger Mann, 26 Jahre alt. Losowski studiert Soziale Arbeit an der Technischen Hochschule Köln und kennt das Problem unbezahlbarer Mieten und knappen Wohnraums nur zu gut: „Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es äußert schwierig ist, in Köln überhaupt eine Wohnung zu finden. Soll diese dann auch noch bezahlbar sein? – Kaum eine Chance!“ so Losowski. Für Studierende, Hartz IV- BezieherInnen und Alleinerziehende sei die Lage besonders schwierig.
„Die Lage auf dem Wohnungsmarkt in allen großen Städten in Deutschland spitzt sich immer weiter zu. Wir sehen, dass sich die Politik kaum dafür interessiert, also müssen wir das wohl selbst in die Hand nehmen!“, sagt Tim Losowski selbstbewusst. Wie man das machen soll? Zunächst gehe es Losowski und seinen MitstreiterInnen darum, Menschen mit den gleichen Problemen zusammen zu bekommen und gemeinsam Lösungen zu finden. „Es geht ja nicht nur darum, dass die Mieten steigen, sondern sie tun das in solch einem Maße, dass viele Menschen ganz aus den Großstädten vertrieben werden. Außerdem steigen die Mieten oft um ein Vielfaches der zulässigen Beträge.“ Und tatsächlich hat Losowski Recht: Im Februar berichtete zum Beispiel die Münchener Abendzeitung von sechs Fällen massiver Mieterhöhungen, dort stiegen die Mietkosten jeweils um 43% bis 273% an. „Der Sinn und Zweck, überhaupt zu modernisieren, ist in vielen Fällen schlicht der, die alten Mieter loszuwerden. Denn dann ist die Wohnung ein Vielfaches wert und wird gerne als Eigentumswohnung zum Höchstpreis verkauft. In München ist das ein Riesengeschäft für Investoren“, kommentiert die Vorsitzende des Münchener Mietervereins, Beatrix Zurek, diese Entwicklung.
„Doch die Entwicklung des Wohnungsmarktes ist nicht das einzige Problem. Parallel dazu bekommen viele Menschen so wenig Lohn, dass sie sich auch die jetzigen Mieten kaum leisten können.“ Losowski spielt damit auf eine weitere Studie der Hans-Böckler-Stiftung an, der zufolge schon heute ein Mindestlohn von deutlich mehr als 10 € notwendig wäre, damit Menschen, die Vollzeit arbeiten, nicht mit Hartz IV ihr Einkommen aufstocken müssen. Der gesetzliche Mindestlohn liegt seit dem 1.1.2017 jedoch gerade einmal bei 8,84 € pro Stunde.
„Konkret haben wir uns zusammengeschlossen, weil wir dieselben Probleme haben und sie vereinzelt nicht werden lösen können“, erläutert Loswoski die Idee des Solidaritätsnetzwerks. „Schaut euch einmal um, wir befinden uns hier in Kalk, in einem der ältesten Arbeiterviertel von Köln. Das, was die Menschen hier objektiv verbindet, ist ihre Lebensrealität, sind die Bedingungen, unter denen sie hier leben.“
Während Losowski durchs Viertel führt, zeigt er immer wieder auf gerade frisch renovierte Hausfassaden und Baugruben. Dazwischen dutzende Werbetafeln und Fahrzeuge von Deutschlands größtem Wohnungsunternehmen Vonovia. Losowski schüttelt nachdenklich den Kopf: „Wo jetzt Baugruben sind, waren bis vor wenigen Wochen noch die Gärten der Nachbarn, und dort, wo jetzt die sauberen Hausfassaden glänzen, müssen viele Menschen in den nächsten Monaten ausziehen, da sie die neue Miete nicht mehr bezahlen können.“
Das Netzwerk, das Losowski mit anderen Menschen aus dem Stadtteil gegründet hat, will zuvorderst Betroffene zusammenbringen und gemeinsam gegen Mieterhöhung und Verdrängung vorgehen. Doch auch andere Probleme sollen Thema des Netzwerks sein: „Wir wollen, dass die Solidarität zwischen den Menschen wieder auflebt. Wir wollen nicht nur gegen unseren eigenen Probleme, sondern auch die unserer Nachbarn kämpfen.“
Wie das konkret aussehen soll? „Im Nachbar-Stadtteil gibt es eine alte Arbeitersiedlung. Dort wurde mit EU-Geldern massiv saniert und nun sollen die Mieten um mindestens 30% steigen, das bedeutet, dass viele langjährige Mieter ausziehen müssen. Das ist Vertreibung! Dagegen werden wir uns mit den AnwohnerInnen ganz konkret zur Wehr setzen“, erklärt Losowski. Dazu organisierte das Netzwerk vor wenigen Wochen eine erste Kundgebung vor dem Kölner Rathaus. Weitere Aktionen sollen folgen.
Vertreibung? In der Tat beschreibt das Erzbistum Köln, als Eigentümer der Siedlung, bereits im Jahr 2010 in einer Sozialraum-Analyse, dass bereits „erste Sanierungsmaßnahmen getroffen wurden, die einer Aufwertung der Gebäude dienen und eine differenzierte Sozialstruktur der Wohnbevölkerung fördern sollen.“ Tatsächlich soll hier also mit Hilfe von Sanierungsmaßnahmen die Bevölkerungsstruktur verändert werden. Laut Losowski sei dies nur eines von unzähligen Beispielen: „Was wir hier ausnahmsweise Schwarz auf Weiß sehen, spielt sich überall in Deutschland ab.“
Ob er und seine Mitstreiter mit ihrem Protest erfolgreich sein werden? „Wenn wir alleine bleiben, natürlich nicht!“ schmunzelt Losowski. „Aber schon jetzt haben sich in fünf Städten Solidaritätsnetzwerke gegründet, und vor wenigen Wochen haben in Berlin mehr als 20.000 Menschen gegen den ‘Mietenwahnsinn‘ demonstriert. Ich denke, all das ist ein Anfang. Außerdem muss es uns perspektivisch um viel mehr gehen als um gerechtere Mieten.“