Mit einer Verzögerung von einem halben Jahr fand der erste offizielle Runde Tisch auf Einladung der zuständigen Bezirksstadträtin am 11.09.2024 statt. Wir, das Solidaritätsnetzwerk und die Nachbarschaft, die den Erhalt der Linse mit Protesten, eigenen Runden Tischen mit der Nachbarschaft und einem Musikfestival auf die Tagesordnung gesetzt haben, waren nicht eingeladen. Doch unser Protest sollte das ändern.
Es ist ein Nachmittag im September als sich den Passant:innen auf dem Platz vor dem Lichtenberger Rathaus ein ungewöhnliches Schauspiel bietet. Eine Gruppe von Personen die
das Rathaus betreten möchten, wird von Polizist:innen daran gehindert. Ein Paar Meter davon
entfernt werden Reden mit einem Megafon gehalten. Es findet eine Kundgebung statt. Die Menschen
die hier von der Staatsmacht zurückgehalten werden, sind nicht ohne Grund hier. Sie folgen einer
Einladung die gerade aus diesem Haus stammt, in welches sie jetzt nicht frei eintreten dürfen. Es
handelt sich um Vertreter:innen verschiedener Vereinigungen und Institutionen die an einem Runden
Tisch zusammen mit Bezirkspoliter:innen über den Erhalt des Jugendklubs Linse beraten sollen.
Der Jugendklub Linse
Die Linse war keine Jugendfreizeiteinrichtung (JFE) wie jede andere. Sie war eine Institution in
Lichtenberg und Berlin. In den mehr als 40 Jahren ihrer Existenz entwickelte sie sich zu einem
Treffpunkt für Jugendliche mit einem Schwerpunkt auf der Jugendkulturarbeit. Ihre Bekanntheit
reichte dabei weit über die Grenzen des Bezirks hinaus und zog so Nutzer:innen aus der ganzen Stadt
an. Die Konzerte und Jam-Sessions in der Linse waren legendär. Viele junge Musiker:innen probten
hier. Am 20.12.2023 wurde die JFE wurde geschlossen.
Die SozDia Stiftung, welche seit 2004 als Träger die Linse betrieb, wollte die Jugendarbeit an diesem
Standort nicht mehr fortsetzen, weil sie ein ,,Minusgeschäft“ sei. Schon lange vor diesem Tag wurde
das Angebot Stück für Stück zurückgefahren und somit die Kosten reduziert und die endgültige
Schließung vorbereitet.
Das Kalkül war klar, die JFE sollte ohne großes Aufsehen und Imageschaden für die SozDia
abgewickelt werden. Doch dagegen regte sich Widerstand. Verschiedene Akteur:innen aus
Lichtenberg und ganz Berlin entfalteten über Monate hinweg umfangreiche Aktivitäten des Protests.
Der Kampf der Jugend
Auf diesen Druck von Unten reagierte auch irgendwann die Bezirkspolitik. Im Januar 2024 beschloss
die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg eine Sanierung bis 2025 anzuregen, außerdem
die Prüfung einer möglichen Zwischennutzung, während der Bauphase am benachbarten Theater bis
2026 und es sollte ab Januar 2024 ein Runder Tisch eingerichtet werden, um mit den Akteur:innen,
die sich für die Linse einsetzen, dem Jugendamt und weiteren involvierten Akteuren:innen,
gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Der Runde Tisch sollte nach dem Beschluss bereits im Januar
seine Arbeit aufnehmen. Nach erheblicher Verzögerung geschah dies nun im September 2024.
Der vom Solidaritätsnetzwerk initiierte Runde Tische wurden von der zuständigen Bezirksstadträtin
Camilla Schuler(Die Linke) nach mehrfachen Einladungen und gemeinsamer Terminabstimmung nicht
besucht. Über Beauftragte wurden wage Aussagen getroffen, die von Halbherzigkeit zeugten.
Nach einigem hin und her und Verhandlungen mit Bezirkspoliker:innen und dem Pförtner des
Rathauses dürfen die vermeintlichen Störer:innen doch in das Rathaus eintreten und können nun den
Saal aufsuchen, in welchem der erste offizielle Runde Tisch über die Zukunft der Linse stattfindet.
Die Straßenszene dieses Septembertages kann als Gleichnis für die gesamte Auseinandersetzung für
den Erhalt der Linse betrachtet werden. Die Initiative kommt von Unten und der Staat blockiert.
Was macht die Bezirksstadträtin?
Das verwunderliche in diesem Fall ist, das die für die Jugend zuständige Bezirksstadträtin Mitglied in
einer Partei ist, welche sich selbst als fortschrittliche versteht und die sozialistische Gesellschaft auf
ihrem Banner führt. Wo aber ist das eintreten für die Interessen der jugendlichen Arbeiter:innen
wenn diese Partei politische Funktionen im bürgerlichen Staatsapparat übernimmt. Sieht so die
soziale Gerechtigkeit aus, welche die Partei immer wieder als ihren Markenkern herausstellen will,
zuletzt in der Kampagne Gerechtigkeit #nurmituns?
Und selbst wenn das Konzept der sozialen Gerechtigkeit für die konkrete Anwendung auf den Erhalt
eines Jugendklubs vielleicht zu abstrakt erscheinen mag, so gibt doch das Bezirkswahlprogramm der
Partei den Weg für Schuler vor, indem gefordert wird ,,flächendeckend bedarfsgerechte Angebote der
offenen Kinder- und Jugendarbeit bereitzuhalten.“
Und auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), welches die maßgebliche Grundlage für die
Jugendarbeit in der BRD darstellt, gibt eine klare Richtschnur vor, indem dort in § 1 das Recht
garantiert wird, dass jeder junge Mensch eine Recht auf die Förderung seiner Entwicklung hat.
Natürlich kann dieses Recht nur verwirklicht werden wenn ausreichend Angebote für die Jugend
unter anderem auch Jugendklubs zur Verfügung stehen. Sonst verkommt es freilich zur hohlen
Phrase.
Doch woran liegt es nun, dass Schuler und mit ihr die gesamte Bezirkspolitik nicht entschlossen für die
Interessen der Jugend und somit den Erhalt des Jugendklubs eintreten?
Der soziale Bereich unterliegt kapitalistischer Profitlogik
Um das wenige öffentliche Geld, was für die Jugendarbeit am Ende nach den ganzen bürokratischen
Verteilvorgängen übrigbleibt, konkurrieren verschiedene Träger. Die Träger müssen
Finanzierungspläne vorlegen, Kosten sparen und Projekte davon abhängig machen, wie wirtschaftlich
diese betrieben werden können. Verschiedene Bereiche der Sozialen Arbeit wie die klassische offene
Jugendarbeit und die Unterbringung für minderjährige Geflüchtete werden so gegeneinander
ausgespielt und müssen um Gelder konkurrieren. In diesem Konkurrenzkampf werden von Trägern
die Personalkosten immer weiter gesenkt, um Projekte möglichst ,,wirtschaftlich“ zu gestalten und
die Fördergelder durch die Behörden überhaupt zu bekommen — das heißt nichts anderes, als das
Projekte wie Jugendarbeit oder die Unterbringung von Geflüchteten möglichst kostengünstig für den
Staat umzusetzen. In Berlin arbeitet eine nicht unbedeutende Menge von Sozialarbeiter:innen
deswegen zu Bedingungen, die sie zu Aufstocker:innen machen.
Den großen Zusammenhang kann man in aller Kürze so beschreiben: Konzerne wollen Profite machen
—Konzerne konkurrieren um Einfluss, Absatzmärkte, Ressourcen und Arbeitskräfte—der deutsche
Staat vertritt die Interessen der Konzerne und stellt dafür Geld zur Verfügung. Für Soziales, Bildung
und Gesundheit aber deswegen immer weniger. Der Bezirk verwaltet, zwar am Ende dieser Kette aber
eben doch als Teil von ihr, das Streben der Konzerne nach größtmöglichem Gewinn.
Warum ist die Verantwortung des Bezirks so hervorzuheben? Arbeiten dort vielleicht jugendfeindliche
Menschen? Nein, ganz im Gegenteil, viele der Menschen die im Bezirk Jugendarbeit machen wollen
und sich jugendpolitisch engagieren meinen es gut. Doch trotzdem ist eines klar: Wer denkt, dass
man im Kapitalismus mitspielen und ihn durch weniger kapitalistisches Handeln verbessern kann, der
irrt sich gewaltig. Am Ende verwaltet der Bezirk das Elend, was uns der Kapitalismus eingebrockt hat.
Deshalb biete der Kapitalismus auch keine Perspektive für die Jugend. Es bedarf einer anderen
Gesellschaftsordnung in der die Rechte der Jugend geachtet und Politik in ihrem Interesse gemacht
wird. Durch den Kampf um die Linse bauen wir selbst die solidarischen Grundpfeiler einer sozialistischen Gesellschaft auf.