[Frankfurt] FAQ zu Bismarck und warum ein heutiges Gedenken faschistischen Ideologien Vorschub leistet

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Als Solidaritätsnetzwerk Frankfurt stellen wir uns entschieden gegen die Restauration und Wiederaufstellung der Bismarck-Statue an der Rudolf-Schäfer-Anlage in Höchst. Die wichtigsten Fragen zu unserer Kampagne wollen wir in diesem Beitrag beantworten.

Wer war Otto von Bismarck?

Otto von Bismarck wurde 1815 in eine Landadelfamilie geboren und trug in seinem Leben viele verschiedene Titel, deren Gemeinsamkeit war, sie allesamt den Interessen der herrschenden Klasse des preußischen Staates und späteren Deutschen Reiches dienten. Abgesehen von seiner Verantwortung als Gutsherr, war Bismarck Bundestagsgesandter Preußens in Frankfurt am Main, und später Ministerpräsident Preußens sowie Reichskanzler des Deutschen Reiches. Zu seinen bekanntesten politischen Umsetzungen gehören die Gründung des Deutschen Reiches, die Sozialgesetze und die Sozialistengesetze.

Wie ist die Gründung des deutschen Reiches unter Bismarcks zu beurteilen?

Im Nachgang des deutsch-französischen Krieges wurde 1871 das Deutsche Reich unter preußischer Führung gegründet. Diese Gründung war vor allem das Ergebnis dreier blutiger Kriege (Deutsch-Deutscher Krieg, Deutsch-Dänischer Krieg, Deutsch-Französischer Krieg) und Zugeständnisse Preußens an die regierende adelige Schicht der deutschen Kleinstaaten. Für die Bourgeoisie war die Reichsgründung ebenfalls erstrebenswert, da durch sie ein homogener Binnenmarkt geschaffen wurde und weitere Möglichkeiten für die Ausweitung des Handels beinhaltete. Die im Verlauf des 19. Jahrhundert entstandene, Arbeiter:innenklasse sowie die mehrheitlich in bäuerlichen Verhältnissen lebende Bevölkerung hatte keine mitwirkende Rolle in der Reichsgründung noch ein Interesse daran.

Durch der Gründung des deutschen Reiches auf blutigen Kriegen, die damit vertieften Konflikte der europäischen Großmächte, sowie die durch die Reichsgründung neu entbrannte Identität des „Deutschseins“, gepaart mit preußischem Militarismus wurde somit die Grundlagen für das Gedeihen des Kapitalismus in Deutschland und die Entwicklung hin zum Imperialismus gelegt. Dieses Heranwachsen des deutschen Imperialismus wiederum war die Grundlage für die beiden Weltkriege.

Was war Bismarcks Rolle im Kolonialismus des Deutschen Reiches?

Ein viel angebrachtes Argument zu Bismarcks Fortschrittlichkeit ist seine vermeintlich ablehnende Haltung gegenüber dem Kolonialismus. Anfänglich war es tatsächlich so, dass Bismarck die Anschaffung von Kolonien für Deutschland als für nicht notwendig erachtete. Dies hatte aber seiner eigenen Aussage nach den Grund, dass es für den Erhalt der Kolonien eine große Flotte und eine Vormachtstellung als Seemacht gebraucht hätte. Zu der Zeit war dies allerdings in Deutschland nicht der Fall und somit wären Kolonien strategisch nicht sinnvoll gewesen. Als „Versorgungsposten“ erachtete Bismarck koloniale Bestrebungen von Handelsleuten jedoch durchaus als unterstützenswert und somit wurden solche Vorhaben auch teilweise militärisch vom Deutschen Reich unterstützt.

Wie schon erwähnt, änderte Bismarck seine Haltung in der Kolonialfrage mit der Zeit, nicht zuletzt aufgrund der Lobbyarbeit des Deutschen Kolonialvereins und den wirtschaftlichen Interessen die dahinter standen. Mit der von Bismarck organisierten Kongo-Konferenz 1884/85, welche zur Aufteilung der restlichen Gebiete in Afrika diente, wurde im Deutschen Reich endgültig die Phase des Kolonialismus eingeleitet. Als Folge der Kongo-Konferenz wurden in den Jahren 1884 und 1885 in Namibia, Togo, Kamerun, Tansania, Burundi und Ruanda Kolonien errichtet.

Die Einschätzung der Haltung und Rolle Bismarcks in puncto Kolonialfrage kann man somit bei Betrachtung seiner späteren Jahre als Reichskanzler als durchaus kolonialistisch einschätzen und seine vorherige, vermeintlich antikoloniale Einstellung durch die Frage entkräften, welche Beweggründe hinter ihr steckten.

Wie sind Bismarcks Sozialgesetze zu beurteilen?

Die Sozialgesetze unter Bismarck werden bis heute als ein Akt der Fortschrittlichkeit Bismarcks interpretiert. Wenn man die Tatsache betrachtet, dass sie die ersten dieser Art waren, dann kann sich dieser Eindruck auch durchaus bestätigen. Allerdings nicht, wenn man die Intention der Gesetze und ihren historischen Hintergrund berücksichtigt.

Bismarck selbst verheimlichte nicht, dass das Ziel der Sozialgesetze war, eine konservative Gesinnung unter den Arbeiter:innen zu verbreiten und sie von den immer stärker werdenden sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien zu entfremden und stattdessen an den Staat zu binden. Dies war Teil einer Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie, zu der das Peitschen-Pendant das Sozialistengesetz war, welches die Zerschlagung jeglicher sozialistischer und sozialdemokratischer Arbeiter:innenverbände, Parteien und Ideologien zum Ziel hatte.

Die Sozialgesetze sind demnach ein Vorläufer des deutschen Sozialstaates, dessen Existenz sich einzig und allein aus einer klugen Taktik gegenüber den Arbeiter:innen ableiten lässt, die dazu führt, dass Ausbeutung weniger als diese wahrgenommen wird und deswegen ohne Widerstand akzeptiert wird.

Warum bezeichnen wir das heutige Gedenken an Bismarck als einen Nährboden für Faschismus?

In konservativen und neofaschistischen Kreisen dient Bismarck als Einiger des Deutschen Reiches und entspricht manchem Ideal des deutschen territorialen Anspruchs „von der Maas bis an die Memel“. Die territoriale Ausdehnung und einhergehende Vormachtstellung Deutschlands in Europa durch einen stark ausgeprägten Militarismus erinnert nicht nur in Fragen der Ästhetik an ein Deutschland der Stärke. Es bedient zudem die faschistische Vorstellung einer Überlegenheit und rechtmäßigen Stellung des deutschen Herrenmenschen in Europa.

Der Widerwille der bürgerlichen Gesellschaft Bismarck als das, was er war, zu benennen, führt zu einer Legitimation seiner Politik. Als Reichskanzler unter Kaiser Wilhelm I. war Bismarck nämlich zuallererst Antidemokrat, der über seine Untertanen herrschte. Ausreden wie „das war damals eben so“ oder „man muss die positiven Seiten sehen“ verharmlosen und verstellen die seine Herrschaft der Unterdrückung und Expansion, die zehntausenden Arbeiter:innen das Leben kostete.

Was ist unsere Kritik am Vorgehen des Ortsbeirats?

Der Ortsbeirat 6, zuständig für den Frankfurter Westen, ist für den Magistrat beratend tätig. Als repräsentatives Gremium, das alle 5 Jahre gewählt wird, ist er entscheidend für lokale Fragen und die erste Ansprechstelle für Anliegen der Bürger:innen.

Die Frage der Bismarck-Statue behandelte der Ortsbeirat wie einen bloßen Verwaltungsakt. Die Diskussion wurde abgekürzt und Repräsentanten fragten offen, warum dieses Thema überhaupt diskutiert werden würde. Gab es denn dort wirklich kein Diskussionsbedarf?

Wir haben mit Menschen in Höchst gesprochen und hier ergab sich ein anderes Bild. Höchster:innen war zum größten Teil nicht bewusst, dass diese Entscheidung im Raum stand. Viel Empörung wurde geäußert über die vermuteten Kosten hinter der Restauration und Wiederaufstellung, die die Kommission für Erinnerungskultur auf 25.000 € schätzte. Verständnis für die Entscheidung des Ortsbeirats fanden wir nur vereinzelt vor.

Für uns ist klar: Der Ortsbeirat hat versucht das Thema zu entpolitisieren und verfolgt damit eine Politik des Stellvertretertums, welches demokratischen Prinzipien widerspricht. Weder in Fragen der Finanzierung noch über Alternativvorschläge will man sich Gedanken machen und sich stattdessen einer Clique von Konservativen beugen ohne die Mehrheit der Höchster:innen gefragt zu haben.

Renoviert Spielplätze oder flickt Schlaglöcher, all das wären eine bessere Verwendung unserer Steuern.

Wie stellen wir uns den weiteren Umgang mit der Bismarck Statue vor?

Für eine weitere Verwendung der Statue sehen wir zwei mögliche Wege:
Einschmelzen oder in ein Museum stellen. Wichtig ist nur, dass die Kontextualisierung nicht verharmlosend oder verkennend ablaufen darf. Geschichte sollte nicht nur aus der Perspektive der Herrschenden erzählt werden, sondern maßgeblich von uns Arbeiter:innen.

Wie könnte antifaschistisches Gedenken in Höchst aussehen?

Der öffentliche Raum sollte von uns Höchster:innen gestaltet werden, wie wir ihn heute haben wollen. Dies macht den Raum wandelbar in unserem Interesse. Statuen sind Abbilder von Vorbildern. Vorbilder unserer Klasse sind Menschen, die in unserem Interesse Großes geleistet oder besonders unsere Werte verkörpert haben. Wenn an dieser Stelle schon eine Statue stehen muss, dann von Höchster:innen die ihr Leben dem Kampf für eine bessere Zukunft gewidmet haben. Höchster:innen wie die Antifaschistin und Kommunistin Lore Wolf.

Wir sagen aber: Auf den Sockel muss aber nicht zwingend eine neue Statue. Denkmäler, wie das Mahnmal zu Femiziden, welches das Frauenkollektiv Frankfurt dort aufgestellt hat, wären ebenfalls eine gute Möglichkeit, um unserer Klasse einen Ort der Versammlung, Gedenken und Trauer zu ermöglichen.

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