[Berlin] 01. Juli – Der Tag gegen antimuslimischen Rassismus

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Am 01.07.2009 wurde Marwa el-Sherbini vor einem deutschen Gerichtssaal in Dresden ermordet. Anlass für den Gerichtsprozess an diesem Tag war, dass der spätere Täter Marwa islamophob und sexistisch beleidigt hatte. Nach ihrer Aussage als Zeugin attackierte er sie mehrmals mit einem Messer vor dem Gebäude. Marwa war im dritten Monat schwanger und starb noch am Tatort.

Dieser Tag wurde von verschiedenen Initiativen und Organisationen zum Tag gegen antimuslimischen Rassismus erklärt. Es soll an den Femizid an Marwa erinnert und darüber aufgeklärt werden, wie weit rassistische Hetze gegen Muslim:innen in der Gesellschaft verbreitet ist. Als sozialistische Stadtteilorganisation haben wir bei unserem Offenen Treffen dieses Thema aufgegriffen und überlegt, wie wir antimuslimischen Rassismus auch in unsere Nachbarschaft zurückdrängen können.

Ein zentraler Punkt zu dem wir bei unserer Diskussion gelangten: Jeder Rassismus ist eine Ungleichheits-Ideologie, die die Funktion erfüllt, Arbeiter:innen zu spalten und uns davon abzuhalten, auf Grundlage einer Klassensolidarität gegen unsere gemeinsamen Unterdrücker:innen vorzugehen. Am Beispiel des antimuslimischen Rassismus sieht man sehr deutlich, wie diese gesellschaftlich sehr normalisierte Form des Rassismus mit den Interessen und aktuellen Betätigungen des Deutschen Imperialismus zusammenhängt: In den mehrheitlich muslimischen Ländern West- und Zentralasiens – von Palästina über Kurdistan bis Afghanistan – war und ist der deutsche Staat auf verschiedene Weise an Raub- und Kolonialkriegen beteiligt; aktuell besonders als zuverlässiger Partner Israels während des Genozids in Gaza – aber auch als Nato-Partner und Waffenlieferant des türkischen Staates und im direkten Kriegseinsatz in Afghanistan bis 2021.

Durch die pauschale Abwertung von Muslim:innen will die bürgerliche Ideologie diese Machenschaften legitimieren: Mit muslimischen Menschen brauche man keine Empathie oder Solidarität empfinden, sie seien unzuvilisert und gewaltbereit; entsprechende Kriege des westlichen imperialistischen Bündnisses oder Israels würden dann der Verteidung und dem “Kampf gegen Terror” dienen und seien zivilisatorsiche Missionen um “demokratische Werte” zu verbreiten.

Die Fluchtbewegungen, die diese Kriege auslösen, stellen außerdem eine innenpolitische Herausforderung für den deutschen Imperialismus dar. Wenn Migrant:innen zunehmend faktisch Teil der arbeitenden Klasse in Deutschland werden, versucht der Imperialismus einer Klassensolidarität über Grenzen der religiösen, sprachlichen und ethnischen Identität hinweg entgegenzuwirken. Wenn deutschen nichtmuslimischen Arbeiter:innen die Muslim:innen als minderwetig und aggressiv präsentiert werden, hat das genau diesen Effekt der Entsolidarisierung und fördert den Chauvinismus.

Der Staat und seine Institutionen können deshalb nie ein verlässlicher Partner im Kampf gegen den antimuslimischen Rassismus sein – weil sie ihn brauchen. Wir sehen deshalb, wie diese Form des Rassismus besonders weit verbreitet ist in verschiedenen Teilen der bürgerlichen Gesellschaft. Für die faschistische AfD ist die Islamfeindlichkeit einer ihrer ideologischen Grundpfeiler. Aber auch bis tief in die “bürgerliche Mitte” hinein wird dieser Rassismus besonders offen in Politik und Medien reproduziert. Und auch bei sich selbst als “linksradikal” und wiederständig verstehenden Gruppen begegnet uns der Rassismus gegen Muslim:innen, der sich hier manchmal mit einer aggressiven Israelsolidarität verbindet. 

Der Femizid an Marwa el-Sherbini zeigt uns aber vor allem: antimuslimischer Rassismus kann tödliche Folgen haben. Der Staat hat sie nicht geschützt, als sie unmittelbar vor einem Justizgebäude ermordet wurde. Der Täter hatte sogar seine Intention für den Mord gegenüber dem Gericht offengelegt und mehrmals deutliche Drohungen ausgesprochen. Als revolutionäre Stadtteilorganisation wollen wir deutlich machen: Es kann nicht der Deutsche Staat sein, der uns vor abwertenden Blicken, Benachteiligung im Alltag und handfester Gewalt schützt; sondern unsere Solidarität als arbeitende Menschen. Der Staat der Herrschenden stellt uns mit seinem aktuellen Programm aus Kürzungen, Kriegsvorbereitung und rassistischer Aufhetzung die gleiche Perspektivlosigkeit in Aussicht. 

Dort wo Menschen in Deutschland sich mit Recht entfremdet fühlen von der bürgerlichen Klassengesellschaft wenn sie wegen einer – manchmal auch nur von Außen unterstellten – Identität Abwertung und Gewalt erfahren, ist es unsere Verantwortung, unsere revolutionäre Perspektive als Alternative gegen das bestehende System aufzuzeigen. Dieser Verantwortung wollen wir mit unserer aktuellen Kampagne “Kein Kiez den Rechten” gerecht werden.

Wir wollen unserer Nachbarschaft die Möglichkeit geben, antimuslimischen Rassismus zu erkennen und diesen gemeinsan bekämpfen. Zugleich zeigen wir mit unseren „Geschichten aus’m Kiez“  reale Schicksale, mit denen die Schwere der Thematik greifbarer wird.

Mit diesem Austausch wollen wir als Nachbarschaft enger zusammenrücken und gemeinsam unseren Blick auf die vielen Formen patriarchaler, kolonialer und rassistischer Gewalt schärfen.

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